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Power Quality und Industrie 4.0

Der stetige Umbau der industriellen Produktion, hin zur volldigitalisierten Maschinenarchitektur (Industrie 4.0), führt dazu, dass Anlagenplaner und Betreiber sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen. Einerseits müssen neue Anlagen in die Kommunikationsstruktur mit anderen Betriebsmitteln eingebunden werden, andererseits wandelt sich die Energieversorgung der Verbraucher durch den Einsatz von Halbleiterbauelementen, von Wechselspannung hin zu Gleichspannung. Auf diese Weise lässt sich die gesamte Wertschöpfungskette eines Unternehmens digital erfassen, abbilden und sehr effizient produzieren – wenn alles reibungslos abläuft. Wir wollen hier einige Aspekte und Herausforderungen diskutieren, die sehr häufig mit einem Umbau einhergehen und welche gravierenden Risiken dabei leicht übersehen werden und im Vorfeld vermieden werden können.

Grundsätzliches – Wechselspannung vs. Gleichspannung

Anlagen und Geräte, in denen viele Halbleiter verbaut sind, werden den sogenannten nichtlinearen Verbrauchern zugeordnet. Das sind Verbraucher, deren Widerstandswert (Widerstand = Spannung / Strom,  [Ohm]), sich mit zunehmender Stromaufnahme ändert. Anders ausgedrückt, sind dies Bauelemente, deren Spannungs-Strom-Kennlinie nichtlinear (also im Diagramm nicht durch eine Gerade dargestellt werden können) verläuft. Nichtlineare Widerstände sind mit der Angabe des äquivalenten Gleichstromwiderstandes R nur unzureichend beschrieben. In den Datenblättern findet sich daher häufig auch der differenzielle Widerstand r=dU/dI, welcher eine Spannungsänderung in Bezug auf eine Stromänderung angibt. Während r für lineare Verbraucher stets konstant ist (die konstante Steigung einer Geraden), gilt dies für nichtlineare Verbraucher nicht mehr (Kennlinienbeispiele: vgl. obere Grafik). Halbleiterelemente wie Transistoren, Dioden, Thyristoren, IGBTs, MOSFETs, etc. finden sich in nahezu jeder Regelelektronik aber auch in Anlagen der elektrischen Energieversorgung, wie:

  • (Schalt-) Netzteile
  • Alle Arten von Umrichtern (Frequenzumrichter, Wechselrichter, Gleichrichter, etc.)
  • PCs bzw. Steuer- und Regelelektronik
  • Schweißgeräte
  • Beleuchtung (v.a. LED)
  • Elektrofahrzeuge (v.a. Ladenetzteile)
  • PV-Anlagen
  • Windkraftanalgen
  • u.v.m.

Mit Ausnahme der beiden letzten vereint diese Geräte, dass solche mit Gleichspannung versorgt werden und entsprechend die im Netz vorliegende Wechselspannung zunächst gleichrichten müssen.

Umrichter – Netzrückwirkungen in Form von Harmonischen Oberschwingungen

Dies führt zu einem periodischen Auftreten sehr steiler Stromrampen (also großen Stromänderungen ), da die Halbleiter wie bei einem Schalter nur zeitweise einen Stromfluss zulassen (vgl. Beispiel eines B2-Gleichrichters, s.u.). Wegen der „elektrischen Trägheit des Netzes“ – oder korrekt: an der Impedanz des vorgelagerten Netzes (dazu gehören die Gesamtwiderstände/Impedanzen von Kabeln, Transformatoren, Schützen, etc.) – wird durch die steilen Stromanstiege die Versorgungsspannung netzseitig verzerrt, wodurch die elektrische Energieversorgung anderer Anlagen/Geräte beeinflusst wird. Werden solche harmonischen Oberschwingungen ins Netz eingekoppelt, hängt deren Stärke maßgeblich von mehreren Einflüssen ab:

  • Der Bauart, Leistung und Qualität der eingesetzten Umrichter: Je höher die Nennstromaufnahme, desto größer ist i.A. auch die resultierende Oberschwingungsbelastung. Qualitativ höherwertige Umrichter verfügen ab Werk bereits über entsprechende Filtersysteme, so dass Störemissionen reduziert werden. Meist erfüllen Einzelgeräte die Anforderungen der Elektromagnetischen Verträglichkeit, jedoch gilt dies im Allgemeinen nicht mehr für mehrere parallel betriebenen Anlagen.
  • Überlagerungen mit Netzrückwirkungen aus Kleingeräten und vorgelagertem Netz: Häufig hängen Büro und Verwaltung am selben Transformator wie die Produktion und Oberschwingungen der zahlreichen PC-Netzteile, Drucker aber auch LED-Beleuchtung, usw. überlagern sich mit den Emissionen aus der Produktion. Hinzu kommt die Belastung aus dem vorgelagerten Netz, beeinflusst von Anlagenbetreibern aus der Nachbarschaft (gleiche Mittelspannungsebene), aber auch bereits durch die Energiewandlung von PV-Anlagen und Windkraftanlagen, die ebenfalls mit Wechselrichtern betrieben werden müssen.
  • Neu hinzu kommt die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität. Hier gilt es zu beachten, dass nicht die Ladesäulen selbst, sondern die Netzteile der Elektrofahrzeuge hochfrequente Oberschwingungsanteile ins Netz einkoppeln. Diese tackten nicht selten mit einigen zehn kHz und führen verstärkt zu massiven Grenzwertverletzungen und Störungen. Aber nicht alle Hersteller sind betroffen, jedoch ist meist der Betreiber der Ladesäulen verantwortlich für entsprechende Störpegel.

Besonders ältere Infrastrukturen sind von problematischen Oberschwingungsanteilen betroffen, da hier z.B. der Neutralleiter mit geringem Leitungsquerschnitt ausgelegt worden ist, jedoch einige Oberschwingungsanteile sich genau hier überlagern (sogenannte 3n-Anteile mit f = 3n x 50 Hz). Ob Aktivfilter, passive Filtersysteme oder Änderungen in der Installation (z.B. galvanische Trennung von Produktion und Laboren mit sensiblen Geräten) etc. als Lösungsansatz herangezogen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann nicht pauschal als „Kochrezept“ angesetzt werden.

Weitere Störpotenziale

Ein weiteres sehr stark verbreitetes Power Quality Phänomen sind Spannungsänderungen, welche sich zum einen in ihrer zeitlichen Länge, als auch im Schwankungspegel unterscheiden. Spannungs-schwankungen, -einbrüche, oder -unterbrechungen sind i.d.R. zufälliger Natur und treten unvorhersehbar auf (je nach Region in D einige Dutzend und mehr Male pro Jahr, mit einer Dauer von 10 ms < t < 1 s). Ursächlich sind meist Störungen in den vorgelagerten Energieversorgungsnetzen, aber auch Laständerungen oder Kurzschlüsse großer Anlagen sowie meteorologische Ereignisse (z.B. Blitzschlag). Laständerungen treten durch Leistungsgeregelte Anlagen immer häufiger auf, allerdings sind resultierende Spannungsschwankungen i.d.R. gering, wobei es auch oft zu temporären Überlagerungseffekten kommt. Grundsätzlich sind von solchen Ereignissen alle an der selben Netzebene angeschlossenen Geräte und Anlagen betroffen, jedoch ist die Störfestigkeit der einzelnen Geräte keine geeignete Bewertungsgröße, da kaum ein Endgerät bei ausbleibender Energieversorgung den reibungslosen Betrieb aufrechthalten kann. Hier müssen oft Konzepte mit alternativer Versorgungsquelle mit entsprechenden Reaktionszeiten angesetzt werden, wobei die diversen Lösungsansätze auf entsprechende Spannungsänderungsphänomene ausgelegt werden sollten.

Abschließend wird noch ein Problem diskutiert, was gerne heruntergespielt wird, aber nicht zu unterschätzen ist. Es tritt auf, wenn Leitungen der elektrischen Energieversorgung in denselben Leitungstrassen verlegt worden sind, wie informationstechnische Kabel (Datenkabel), da die hohen Ströme in den Energieversorgungsleitungen, bei unzureichendem Abstand, Ströme in den Datenkabeln induzieren (Lenz‘sche Regel) und so die Kommunikation stören können. Durch die zunehmende digitale Kommunikation der Anlagen, werden bestehende Leitungstrassen (vornehmlich zur Energieversorgung) „einfach“ für Datenkabel mitgenutzt, so dass sich das Störpotenzial so zunehmend steigert.

Aktiv werden oder Abwarten?

Die Folgen schlechter Power Quality sind vielseitig und reichen vom harmlosen Auslösen von Fehlerstromschutzeinrichtungen (RCD-Schaltern) bis hin zu überhitzten und zerstörten Komponenten (Personen- und Brandrisiko). Auch Maschinenfehlfunktionen sind nicht selten die Folge von Netzrückwirkungen und schlechter Power Quality. In jedem Falle stehen in der Regel betroffene Anlagen zumindest temporär still, was neben den Kosten defekter Hardware ein weiterer Kostentreiber ist. Auch Gerätegewährleistungen verfallen, wenn schlechte Power Quality Parameter als Ausfallursache festgestellt werden.

Aus diesem Grund sollte jeder Industriebetrieb sich mit Power Quality Grundlagen auseinandersetzen und vor allem professionelle Messungen nicht scheuen, da diese die einzige Möglichkeit sind, Störpegel qualifiziert zu identifizieren, einzuordnen und die richtigen Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das Störpotenzial schlechter Power Quality wird durch den industriellen Umbau (Industrie 4.0) sicher weiter zunehmen und im Schadensfall sind die Kosten deutlich höher als eine kontinuierliche Begleitung. Ohne Messungen geht es nicht!

 

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