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Blindleistungskompensation in Niederspannungsnetzen

Blindleistungskompensation in Niederspannungsnetzen

Verbesserung der Power Quality – mehr als nur Kosten senken

Besonders energieintensive Unternehmen werden in Deutschland als Sondervertragskunden von Energieversorgungsunternehmen und Netzbetreibern mit zusätzlichen Gebühren bei erhöhtem Blindleistungsbezug belastet. Da im industriellen Bereich bis zu 68% des Strombedarfs durch Elektromotoren (induktive Verbraucher) verursacht wird [1], haben die meisten Betriebe bereits an zentraler Stelle Kompensationsanlagen zur Blindleistungsregelung installiert (meist kapazitive Kondensatorbänke), um solche direkten Kosten zu vermeiden. Da sich durch den verstärkten Einsatz von Leistungselektronik (wie Frequenzumrichter, Netzteile, PCs, LED-Beleuchtung, etc.), bzw. übergeordnet durch den Einsatz nichtlinearer Verbraucher, das Verbrauchsmuster stetig verändert, lohnt ein erweiterter Blick auf das Thema Blindleistung, denn Blindleistungskompensation kann mehr als nur direkte Kosten senken.

Grundsätzliches

Klassisch versteht man unter Blindleistung und Blindenergie den elektrischen Anteil, der nicht für die Wandlung in andere Energieformen zur Verfügung steht, jedoch in der Verlustbilanz berücksichtigt werden muss, da auch Blindleistungsanteile durch die elektrische Infrastruktur transportiert werden müssen. Mathematisch lässt sich ein Zusammenhang der sinusförmigen Strom- und Spannungsverläufe entweder über die Phasenverschiebung beschreiben (Kondensator/Kapazitäten: Strom um 90° vor die Spannung verschoben; Spule/Induktivitäten: Strom um 90° hinter die Spannung verschoben) oder in der Komplexen Zahlenebene über Zeiger darstellen (kapazitive und induktive „Pfeile“ = Zeiger sind in die entgegengesetzte Richtung orientiert), vgl. Grafik oben. Dieser diametrale Gegensatz von induktiver (QL) und kapazitiver Blindleistung (QC) wird bei der konventionellen Blindleistungskompensation ausgenutzt, so dass der Strom gegenüber der Spannung kaum noch verschoben ist und nur noch ein Rest Blindleistung (QRest) vorhanden ist, vgl. Grafik rechts. Die Kenngröße, und in Bezug auf den Energieversorger auch die relevante Größe, ist der sogenannte Verschiebungsfaktor , welcher in dieser Betrachtung jedoch ausschließlich für die Grundschwingung von f = 50 Hz gültig ist und man Spricht in diesem Zusammenhang auch von der Verschiebungsblindleistung QV. Eine zentrale Lösung zur Blindleistungsregelung sorgt daher vor allem für die Vermeidung direkter Kosten auf der Stromrechnung. Um jedoch Verluste in der eigenen Infrastruktur zu reduzieren (vor allem bei langen Leitungswegen, großen induktiven Verbrauchern und hohen Betriebsstunden), bieten sich in manchen Fällen Gruppenkompensationen oder dezentrale Einzelkompensationen an, vgl. Schemata. Ob und welche Maßnahmen technisch und wirtschaftlich sinnvoll sind, muss immer gründlich geprüft werden!

 

Blindleistung im industriellen Wandel – ein kurzer Überblick

Seit Jahren sind viele Elektromotoren im Sinne der Effizienzsteigerung mit Frequenzumrichtern ausgerüstet, um eine lastgeregelte Nutzung zu gewährleisten und Energiekosten zu senken. Übersehen wird oft jedoch, dass solche Anlagen Netzrückwirkungen in Form von Oberschwingungen (d.h. eine Abweichung der „sauberen“ Sinusform) verursachen, welche sich im Kontext der Blindleistung vor allem in Form von Verzerrungsblindleistung QD äußert. Werden darüber hinaus im Drehstromsystem die drei Außenleiter nicht gleichmäßig belastet (v.a. durch ein- und zweiphasige Verbraucher), stellt sich mit der Unsymmetrieblindleistung QU eine weitere Blindleistungsgröße ein. Sind Verbraucher im Netz, welche periodische Änderungen der Leistung zeigen (wie Lichtbogenöfen, Teils auch Wechselrichter von Photovoltaikanlagen, etc.), äußert sich ein Teil solcher Lastschwankungen in Form von Modulationsblindleistung QM. Für die gesamte Leistungsbilanz eines Unternehmens reicht es also nicht aus, nur die Wirkleistung P zu betrachten. Um ein vollständiges Bild zu bekommen, muss die sogenannte Scheinleistung S betrachtet werden, welche sich über die Geometrische Summe aller Leistungsanteile zusammensetzt (z.B. [2]):

 

Was leistet eine Moderne Blindleistungsregelung?

Viele Unternehmen betreiben einen Mix aus Altanlagen und modernen vollautomatisierten Produktionslinien. Oft befindet sich an zentraler Stelle eine Anlage zur Blindleistungsregelung, wobei ältere Anlagen typischerweise keine Schutzmaßnahmen gegen Oberschwingungen besitzen (sog. Verdrosselung). Moderne lastgeregelte Elektromotoren beziehen jedoch keine Verschiebungsblindleistung mehr, sondern verzerren die Versorgungsspannung, so dass zum einen im Netz statt Verschiebungsblindleistung verstärkt Verzerrungsblindleistung vorzufinden ist, die nicht von der konventionellen Kompensation ausgeregelt werden kann (ähnlich verhält es sich mit den anderen Blindleistungsarten). Zum anderen führt die Verzerrung bei unverdrosselten Kompensationsanlagen zu einer zusätzlichen Belastung der kapazitiven Bauteile und ist ein Einfalltor für mögliche Resonanzerscheinungen. Daher sollten unserer Meinung nach konventionelle Kompensationsanlagen heutzutage ausschließlich verdrosselt ausgeliefert werden (sorgfältige Prüfung)!

Schnell ausregelnde Kompensationsanlagen und aktive Filteranlagen sind hingegen meist zusätzlich in der Lage auch andere Blindleistungsanteile zu reduzieren, so dass eine Entlastung der Infrastruktur und damit eine Effizienzsteigerung erzielt wird. Rein technisch betrachtet ist es am effizientesten, eine quellnahe Kompensation vorzunehmen, was jedoch nicht immer wirtschaftlich abzubilden ist. Ziel ist es, die Qx-Anteile so weit zu reduzieren, dass die Scheinleistung und Wirkleistung betraglich ungefähr gleich sind (S ~ P). Dadurch wird der Transformator entlastet und die freigewordene Leistung kann für weitere Anlagen verwendet werden. Auch der Spannungsfall durch den geringeren Stromfluss in den Leitungen kann reduziert werden. Konventionelle Kompensationsanlagen mit Verdrosselung können bei moderaten Oberschwingungsströmen durch Saugkreiswirkung der Kompensation die Oberschwingungspegel leicht absenken, was jedoch nicht den primären Zweck der Anlage darstellt.

Abschließend soll noch kurz auf Wechselrichtersysteme im Zusammenhang mit dezentralen Erneuerbaren Energietechnologien eingegangen werden: Wird Leistung z.B. einer PV-Anlage ins Netz gespeist, kommt es im Allgemeinen lokal zu einer Spannungsanhebung. Aus diesem Grund sind die meisten Wechselrichter einer PV-Anlage in der Lage, die Phasenverschiebung zwischen eingespeistem Strom und der Spannung zu regeln. So kann der Spannungsanhebung entgegengewirkt werden, führt jedoch zu einer Belastung des Netzes mit Blindleistung (neben Verschiebungsblindleistung auch Anteile aus Verzerrungs- und Teils auch Modulationsblindleistung durch die Wechselrichter).

Fazit

Blindleistungsregelung im industriellen Kontext bedeutet nicht mehr nur die Verschiebungsblindleistung zu reduzieren und somit direkte Kosten auf der Stromrechnung zu vermeiden. Spannungshaltung, Verlustreduzierung oder allgemein die Steigerung der Effizienz des gesamten Betriebs sind weitere Vorteile, die sich jedoch nicht immer unmittelbar wirtschaftlich abbilden lassen. Durch den Fortbetrieb von Altanlagen, Anlagenerweiterungen mit modernen Betriebsmitteln (Leistungselektronik!) und den vermehrten Einsatz von dezentralen „Erzeugungs-“ Einheiten (wie PV-Anlagen) ist eine sorgfältige Prüfung der Infrastruktur inkl. einer professionellen Messung der Netzrückwirkungen (v.a. die Bewertung der Oberschwingungsbelastung in Bezug auf mögliche Resonanzstellen) die Voraussetzung derartiger Projekte. Hier sollten sich insbesondere die leitenden Elektrofachkräfte mit Blick auf die veränderte Situation mit der Thematik intensiver auseinandersetzen.

Quellen und Literaturhinweise
[1] P. Plötz et al., Zukunftsmarkt Effiziente Elektromotoren, Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), 2011

[2] O. Brückl et al., Beitrag industrieller Blindleistungs-Kompensationsanlagen und -Verbraucher für ein innovatives Blindleistungsmanagement in der Stromversorgung Deutschlands, ZVEI (Fachverband Starkstromkondensatoren), 2013

 

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